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Interview mit Bernd Holtschulte: „Es gibt Pflanzenkrankheiten, die mit Chemie nicht zu kontrollieren sind.“

14. Dezember 2017, Lesezeit: 5 Minuten

Bakterien, Pilze, Viren: Pflanzen sind das Ziel ungezählter Attacken. Die Erreger „wollen“ sich in den energiereichen Blättern oder Früchten vermehren und richten dabei oft schwere Schäden an. Bernd Holtschulte leitet den Bereich Pflanzenkrankheiten bei KWS. Im Interview berichtet er, welche Auswege die Pflanzenzüchtung bietet.

Warum müssen Pflanzen überhaupt geschützt werden – bekommen sie das alleine nicht hin?

Doch, viele Pflanzen sind von Natur aus resistent gegen Krankheitserreger. Diese Abwehr hat sich im Lauf der Evolution über hunderttausende Jahre herausgebildet. In der Natur gibt es aber ein ständiges Wettrennen zwischen Pflanzen und Mikroorganismen. Pilze, Viren oder Bakterien infizieren Pflanzen, um sich darin zu vermehren. Die Pflanzen wiederum schaffen sich neue Abwehrmechanismen. Dank ihrer hohen Anpassungsfähigkeit und ihrem großen Vermehrungspotenzial überwinden einige Erreger die Barriere aber wieder. Dieses Rennen ist nie zu Ende. Die Züchtung auf hohe Widerstandsfähigkeit – Pflanzenzüchter sprechen von Resistenzzüchtung – will Pflanzen auf dem Feld vor Schaderregern schützen. Eine besonders wichtige Rolle kommt der Resistenzzüchtung zu, wenn es gegen einen Erreger gar keine anderen Schutzmaßnahmen gibt. Das ist bei einigen Viruserkrankungen oder Pilzen der Fall. Dies zeigt: Pflanzenschutz funktioniert nicht allein über chemische Substanzen, sondern auch und besonders über die Züchtung. Und manchmal nur mit ihr.

Wer ist heute ihr größter Gegner?

Fusarium-Pilze gehören zu unseren besonders wichtigen Gegnern. Diese Schadpilze in Getreide und Mais setzen mehrere Gifte frei und können ganze Ernten verderben. Zudem mindern sie die Keimfähigkeit des Saatgutes und gefährden die Gesundheit von Mensch und Tier. Bekannter ist der Mutterkornpilz, der Vergiftungen bei Mensch und Tier hervorruft. Außerdem gibt es Pflanzenkrankheiten, die weder mit chemischen, biologischen oder ackerbaulichen Maßnahmen wie der richtigen Fruchtfolge zu kontrollieren sind.

Ein Beispiel ist die Wurzelbärtigkeit (Rizomania) in der Zuckerrübe: Ein im Boden lebender Pilz überträgt ein krankheitsauslösendes Virus in die Pflanzenwurzel. Dort kann es sich vermehren und zu Schäden führen, die den Ertrag erheblich mindern. Die Züchtung Rizomania-resistenter Sorten ist die einzige Möglichkeit, den Anbau von Zuckerrüben in vielen Ländern zu ermöglichen. Aber die Resistenzzüchtung spielt in fast allen Pflanzen eine wichtige Rolle. Dafür braucht es allerdings einen langen Atem: Bis eine neue Sorte auf den Markt kommt, vergehen bis zu zehn Jahre intensive Züchtungsarbeit. Dabei hilft uns, dass KWS ein unabhängiges Unternehmen ist, das seine züchterischen Entscheidungen alleine treffen kann.

Wie funktioniert Resistenzzüchtung überhaupt?

Wir bringen Eigenschaften, die in der Natur, zum Beispiel in den Wildformen der Pflanzen, vorhanden sind, in unsere Kulturpflanzen. Das geschieht häufig durch Kreuzung. Mit den so gewonnenen neuen Eigenschaften können Pflanzen dann Pilze, Bakterien oder Viren abwehren. In der Natur gibt es viele Mechanismen für Widerstandsfähigkeit. Wir unterscheiden grob in vorhandene und nach der Infektion ausgelöste Resistenzen. Beispiele für eine vorhandene Resistenz sind zum Beispiel dickere Wachsschichten auf den Blättern. Das Entstehen dickwandiger Ablagerungen im Zellgewebe, um Pilzen das Wachstum in der Pflanze zu erschweren, ist ein Beispiel für eine nach der Infektion ausgelöste Resistenz.

Wie wichtig ist der Klimawandel bei Ihrer Arbeit?

Sehr wichtig! Die Klimaforscher erwarten künftig mehr milde und feuchte Winter sowie warme, trockene Sommer. Für Menschen mag das auf den ersten Blick angenehm klingen. Für Pflanzen bedeutet es, dass verstärkt Schaderreger aus südlichen Regionen auftreten und sich ausbreiten werden. Darauf müssen wir schon heute reagieren: Das Züchten neuer Sorten kann, je nach Fruchtart, zwischen zehn und zwölf Jahren dauern. Vom erwarteten höheren Krankheitsdruck einmal abgesehen gewinnt auch die Widerstandsfähigkeit gegen Trockenheit an Bedeutung. Pflanzenzüchtung braucht also langfristige Planung – das gilt auch und besonders für die Forschung bei KWS. Dafür geben wir rund 17 Prozent des Umsatzes aus.

Nachhaltiges Wirtschaften wird zunehmend wichtig. Welchen Beitrag leistet Ihre Arbeit?

Der Gesetzgeber gibt den Integrierten Pflanzenschutz als ein wichtiges Ziel aus. Kurz gefasst bedeutet dies: Landwirte sollen den chemischen Pflanzenschutz weiter reduzieren. Ein oft gebrauchtes Stichwort ist „So wenig wie möglich, so viel wie nötig“. Hier leistet der Fortschritt in der Resistenzzüchtung einen wichtigen Beitrag: Pflanzen mit mehr Widerstandkraft benötigen weniger chemischen Pflanzenschutz. Zusätzlich sollen der biologische Pflanzenschutz sowie acker- und pflanzenbauliche Maßnahmen dazu beitragen, dass eine nachhaltige Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Nutzflächen stattfindet.

Wenn das so gut klappt: Warum werden dann überhaupt noch chemische Wirkstoffe eingesetzt?

Wenn wir uns auf das Ziel verständigen, zur Versorgung der wachsenden Weltbevölkerung höchstmögliche Flächenerträge zu erzielen, dann geht das derzeit nur über eine möglichst gute Kombination aus Pflanzenzüchtung und Pflanzenschutz. Pflanzen müssen in der frühen Phase ihrer Entwicklung über eine Saatgutbehandlung geschützt werden, weil die natürliche Widerstandsfähigkeit in dieser frühen Wachstumsphase nicht ausreichend ist oder weil die Resistenzeigenschaften sich erst in einer späteren Phase der Pflanzenentwicklung ausprägen.

Welchen Beitrag leistet Pflanzenzüchtung zur Ernährung?

Die Weltbevölkerung wächst bis zum Jahr 2050 auf voraussichtlich 9,7 Milliarden Menschen. Zugleich ist die landwirtschaftliche Nutzfläche begrenzt. Auf gleicher Fläche muss also der Ertrag steigen. Schon heute trägt die Pflanzenzüchtung dazu bei, Verluste durch Krankheiten und Schädlinge zu verringern und die Erträge um etwa 1,5 Prozent im Jahr zu steigern. Der Resistenzzüchtung wird künftig eine noch größere Rolle zukommen: Derzeit zeichnet sich ab, dass in den nächsten Jahren viele chemische Wirkstoffe nicht mehr zugelassen werden. In der Folge werden weniger Pflanzenschutzmittel zur Verfügung stehen. Hier kann die Pflanzenzüchtung wichtige Beiträge leisten.

Erreger werden gegen manche Pflanzenschutzmittel resistent. Können Sie auch gegen Pflanzenzüchtungen resistent werden? Muss man also immer wieder neue Sorten züchten?

Schaderreger durchbrechen immer wieder Resistenzen. In vielen Fällen ist dies nur eine Frage der Zeit. Wird die Widerstandsfähigkeit nur durch ein Gen in den Pflanzen kontrolliert, können Resistenzen sehr schnell überwunden werden – das heißt, in wenigen Jahren. Sind zwei, drei oder noch mehr Resistenzgene in einer Sorte beteiligt, geht man von davon aus, dass die Resistenz deutlich länger anhalten wird.

Seit wann betreibt der Mensch Resistenzzüchtung?

Der Beginn der Getreidezüchtung liegt etwa 12.000 Jahre zurück. Damals wurden Samen der ertragreichsten und gesündesten Pflanzen ausgewählt und im folgenden Jahr wieder ausgesät. Ertrag und Widerstandsfähigkeit besserten sich langsam. Wir verwenden heute dafür den Begriff der Selektionszüchtung. Durch weitere Kreuzungen mit Wildgetreide entstanden schließlich unsere Getreidearten. So gesehen ist die Resistenzzüchtung im Getreide sehr alt. Aber die Züchtung allein reicht nicht aus. Unser tägliches Brot ist ein Produkt aus Resistenzzüchtung, ackerbaulichem Fortschritt und auch dem chemischen Pflanzenschutz. Dies gilt nicht allein für Weizen oder Roggen, sondern auch für viele andere Kulturarten.

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