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Vermarktungsstrategien für Getreide

Jörg Kiel, LEV Ostholstein

09.09.2020

Warum ist die Getreidevermarktung ein Muss und kein Kann? Jedes Jahr stellt sich der Landwirt die Frage: Wann und wie vermarkte ich mein Getreide? Für diese Entscheidung gibt es verschiedene Entscheidungsgrundlagen, aus denen wiederum unterschiedliche Strategien abgeleitet werden können. Jörg Kiel, seit über 10 Jahren Vorstand und Vermarktungsexperte beim Landwirtschaftlichen Ein- und Verkauf (LEV) Ostholstein, gibt Tipps zur Vermarktung.

Allgemeine Annahmen und Fakten

Warum macht Vermarktung Sinn?

Für jeden Betrieb bedeuten unverkaufte Mengen der diesjährigen und auch der folgenden Ernte ein Marktrisiko. Zum Beispiel ist ein 200 ha Betrieb, der noch nichts von der alten und nichts von der neuen Ernte verkauft hat, für den gesamten Zeitraum mit z. B. 800 t Gerste, 1.800 t Weizen und 500 t Raps im Risiko. Daneben hat er bereits ca.160.000 € (ohne Pachten) ausgegeben und wird weiterhin wieder 160.000 € für die nächste Ernte ausgeben. Bei Marktschwankungen von 30 € für Getreide und 50 € im Raps liegt sein Risiko im Minimum bei 100.000 € Erlösschwankung. Das ist in etwa die gesamte Höhe der Flächenbeihilfen für zwei Jahre.

Hinzu kommen Kostenrisiken aus dem Halten eines physischen Bestandes, die sich positiv oder negativ auf den Nettoerlös auswirken, wie z. B. die gezahlten oder entgangenen Lagergelder – bei 6 Monaten Lagerdauer und der Gesamtmenge Getreide sind das schnell mal 25.000 € Unterschied bei den Nettoerlösen.

Desweitern kommen die Kosten für Belüftung und Gesunderhaltung der Ware oder auch eine evtl. Käferbehandlung oben drauf. Einzukalkulieren sind auch mögliche Zinszahlungen aus Kontokorrent bei Bank oder Landhandel.

Die wirtschaftlichen Gegebenheiten des jeweils entscheidenden Betriebes sind sicherlich sehr unterschiedlich und somit auch die entscheidenden Grundlagen für eine angemessene Vermarktungsstrategie. Wichtig ist für jeden Betrieb im ersten Schritt, die eigenen Gegebenheiten überhaupt zu kennen. Dafür sind zumindest die folgenden Faktoren bzw. Fragen zubedenken:

  • Wie hoch ist der Anteil an Pachtland gegenüber dem Eigenland?
  • Welche Gesellschaftsform liegt vor und gibt es somit Ansprüche an Verzinsung?
  • Ist der Betrieb ein Kostenführer oder nicht?
    Er kann deutlich flexibler reagieren, wenn er weiß, zu welchen Kosten er produziert.
  • Wie sieht es mit Fremdbelastungen aus?
  • Welche Einnahmen gibt es?
  • Wie hoch ist das Produktionspotenzial?
  • Ist der Betrieb überschuldet oder hat er ausreichend Eigenkapital/Liquiditätsreserven?

Menschliche Faktoren haben immer einen Einfluss auf die Vermarktungsentscheidung. Es gibt unterschiedlich Entscheidungs-Typen. Es gibt die Selbstentscheider oder andere, die durch Dritte stark beeinflusst werden. Es gibt Risikonehmer oder Risikoverweigerer. Es gibt die Entscheider oder die Zögerer. Es gibt Marktfolger oder eher Marktverfolgte (z.B. AppUser). Aber egal, was für ein Entscheidungstyp der Einzelnen ist, die Entscheidung ist beim Menschen letztendlich emotional, obwohl oft rational argumentiert wird.

Entscheidungsgrundlagen für eine Strategie

Folgendes sollte der Landwirt wissen, um eine Grundlage für eine Vermarktungsstrategie zu haben und sich wirklich wissensbasiert entscheiden zu können. Bei dieser Entscheidung kann er auch sicher sein, dass er alle Punkte, die ihm wichtig sind, sicher berücksichtigt hat. Er muss seine Produktionskosten kennen, welche Kosten sind variabel und welche sind fix. Und wie sehen die Gesamtkosten aus. Die Kenntnis der langjährigen Trenderträge ist ebenso wichtig und ist auch in den meisten Fällen bekannt. Die Berechnung des Mindest- und auch Kostendeckungspreis hilft bei der Entscheidung über die Gewinnschwellen, die für den Betrieb sinnvoll sind. Das Setzen von verschiedenen Gewinnschwellen (I, II) hilft dabei, nicht in die Falle von „Gier oder Hirn“ zu laufen.

Entscheidungsstrategie

Im Vorhinein werden drei oder vier Grenzen festgesetzt (s. Tabelle). Wenn diese erreicht werden oder der Markt in ihre Nähe kommt, muss eine Vermarktungsentscheidung getroffen werden. Hier nicht oder abweichend zu entscheiden, ist auch eine Entscheidung, solange sie bewusst getroffen wird. Das Ziel sollte sein, die Vermarktung zu beginnen, sobald die Kostengrenze erreicht wird und bis zu 80 % von Trendertrag zu vermarkten, wenn auch die Gewinnschwelle(n) erreicht sind. (Natürlich in Abhängigkeit vom Vegetationsverlauf.) Dieser Plan sollte dann Schritt für Schritt auch so umgesetzt werden.

Vermarktungsschwellen

1. Menge x… bei Kostengrenze
2. Menge x… bei Gewinngrenze I
3. Menge x… bei Gewinngrenze II
4. Menge x… wenn der Markt die Kostengrenze nach unten wieder erreicht bzw. wenn Gewinngrenze II erreicht wird.

Typische Entscheidungsfallen

Erstes Beispiel: das Warten auf runde Zahlen – bei 19,50 € wird auf 20 € gewartet und sich nicht mehr an die eigenen Vermarktungsschwellen gehalten. Oder die Betriebe orientieren sich an den Entscheidungen der anderen. Der Lemming-Effekt ist oft und gerne gesehen, wenn er aber auch inzwischen rückläufig wird. Oft orientieren sich Landwirte an den Preisen für die aktuelle Ernte – vergessen aber dabei vielfach, dass das beste Mittel gegen hohe Preise, hohe Preise sind. Sprich, ein Preishoch zieht immer Anbaufläche. Wer den Preis der alten Ernte als Maßstab für die neue Ernte nimmt, lässt oft Chancen liegen. Oder in Krisenzeiten verkaufen viele Landwirte kein Getreide. Das Getreide im Lager gilt in unsicheren Zeiten als Sicherheit.

Die gefährlichste aller Fallen ist, nicht bei seinem Plan zu bleiben und sich immer wieder umzuentscheiden und doch noch mal zu warten. Davon können sich auch Händler oft nicht frei machen. Nicht mitgenommene Gewinne stellen keine Verluste dar. Typisch ist folgendes Szenario. Von 1.000 t Weizen werden 250 t zu 18 € verkauft. Eine Woche später steigt der Preis auf 19 € und man ärgert sich, obwohl man plötzlich 7.500 € mehr für die verbleibenden 750 t Weizen erzielen kann als noch vor einer Woche.

Exkurs

In einer Studie von Prof. Loy, Leiter der Abteilung Marktlehre der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, mit 200 untersuchten Betrieben erreichte kein Landwirt bei der Vermarktung langfristig die Durchschnittspreise. Und dennoch war das Wort Durchschnitt in der Vermarktung oder bei Erfolgsmaßstäben lange negativ besetzt. Diese Einstellung wandelt sich in den letzten Jahren etwas. Es gibt verschiedene Konzepte im Handel, bei denen sich die Vermarktung am Durchschnitt orientiert. Das zeigt, dass dort ein Umdenken stattfindet, dass der Durchschnitt nicht mehr das „Negative“ ist. Und das ist einer der wichtigsten Fortschritte bei der Vermarktung in den letzten 13 Jahren, seitdem ich in Ostholstein arbeite.

1. Start der Vermarktung in diesem Beispiel Mitte August 2018, als klar wird, dass die Preisrallye aus 2018 vorbei ist. Diesmal direkt mit der hohen Gewinnschwelle.

2. Der nächster Vermarktungsschritt erfolgt Mitte März als der Markt das dritte Mal auf die Gewinnschwelle 1 aufschlägt. Dieser Schritt könnte aber schon eher gemacht werden.

3. Keine Vermarktung zum Tiefpunkt nötig, da schon 40% vermarktet sind.

4. Erst als im November 2019 wieder die Kostengrenze erreicht wird, erfolgen weitere 20% Vermarktung.

5. Der Rest oder auch bis zu 80% vom erwarteten Ertrag kann im Mai 2020 beim Erreichen der Gewinnschwelle I verkauft werden.

➔ Der erreichte Durchschnittspreis (ab Hof oder angeliefert Lager) im Sommer 2020 würde dann bei ca. 18,25 € ex Ernte liegen.

Profitipp

Wenn etwas vermarktet werden soll, dann sollte immer das relativ teuerste zuerst verkauft werden. Steht also eine Vermarktungsentscheidung an, dann sollte man genau hinschauen und ein wenig rechnen. Unter Umständen macht es Sinn, doch etwas anderes zu verkaufen, als man zunächst geplant hat – z. B. Gerste statt Weizen oder Raps statt Weizen. Ein Beispiel: Wenn Gerste 10 € unter Weizen notiert, dann ist die Gerste relativ teuer. Wenn der Raps im Verhältnis 1 : 1,8 zu Weizen liegt, dann ist der Raps zu billig und sollte nicht verkauft werden. Da heißt es dann, flexibel zu sein.

Fazit für die Strategie

  • Die 1. Erkenntnis zur Planung sollte sein, die Vermarktung kann nicht früh genug beginnen.
  • Die 2. Erkenntnis zur Durchführung heißt, bleibe bei deinem Plan und das unbedingt zu Beginnder Vermarktung.
  • Die 3. Erkenntnis zeigt, dass für erfolgreiches Erlösmanagement entscheidend das aktive Angehen der variablen Erlösfaktoren, nämlich Düngereinkauf und Getreideverkauf, ist.

Jörg Kiel, LEV Ostholstein

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