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Ein Schwert wird zunehmend stumpf

Chemischer Pflanzenschutz

Klaus Gehring, Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft, Institut für Pflanzenschutz, Freising-Weihenstephan

09.09.2020

Pflanzenschutz ist ein genauso einfacher wie auch komplexer Begriff. Im Kern geht es darum, Kulturpflanzen vor Schadorganismen zu schützen, das Wachstum zu fördern, die Produktivität zu sichern und eine hohe Qualität der Erntegüter zu gewährleisten. Es geht also um die essentielle Aufgabe der Nahrungsmittelversorgung für die Bevölkerung. Diesen Job haben die Landwirte seit Anbeginn des Ackerbaus eifrig und erfolgreich geleistet. Über Jahrtausende bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts war auch die Aufgabenstellung einfach:

Der Landwirt erzeugt zunehmend mehr Nahrungsmittel für eine stetig wachsende Bevölkerung.

Wie er das macht, wurde ihm weitgehend selbst überlassen. Die rasante Entwicklung des Ackerbaus hat eine explosionsartige Steigerung der Weltbevölkerung gewährleistet, die sich seit den 1950er Jahren, der Einführung von chemischen Pflanzenschutzmitteln, verdreifacht hat. Dies war auch möglich, weil durch den gezielten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln Krankheitserreger, Schädlinge und Unkräuter hocheffizient reguliert werden konnten. Ganz nebenbei hat sich dadurch auch das Arbeitsumfeld im Ackerbau wesentlich verbessert.

Seit wenigen Jahrzehnten haben sich nun die Rahmenbedingungen in hoch entwickelten Ländern, insbesondere in Westeuropa, grundlegend verändert. Es geht im wahrsten Sinn des Wortes nicht mehr nur um das „tägliche Brot“. Der Ackerbau soll zusätzliche Aufgaben und Funktionen erfüllen, die ohne Zweifel wichtig sind. Das komplexe Umfeld kann mit Stichworten wie Umweltverträglichkeit, Gewässerschutz, Biodiversität, Insektenschutz, Lebensmittelsicherheit, Nachhaltigkeit, Kulturlandschaftsgestaltung bis hin zu Raum für Freizeit und Erholung umschrieben werden.

Diese vielfältigen Ansprüche werden von verschiedenen Interessensgruppen noch fokussiert an die Politik gerichtet und über die Medien von der Gesellschaft reflektiert. In Bezug auf den konventionellen Ackerbau ist der breite und simple Konsens, dass sich was ändern muss, es könne nicht mehr so weiter gehen. Diese Stimmung trifft den chemischen Pflanzenschutz unmittelbar. Im Mainstream wird der Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln grundsätzlich in Frage gestellt. Die Politik folgt diesem Trend mit nationalen und europäischen Regelungskonzepten (Biodiversitäts- und Ackerbaustrategie, Green Deal und Farm to Fork). Für eine Analyse dieser Situation ist es hilfreich, die harten Fakten zu betrachten.

Die Produktivität im Ackerbau hat sich seit den 1960er Jahren durch die technische Weiterentwicklung deutlich verbessert. Zum Beispiel die Ertragsfähigkeit im Getreidebau konnte in diesem Zeitraum in Deutschland um 50 - 60 Prozent gesteigert werden. Effizientere Möglichkeiten zur Regulierung von Unkräutern, Krankheitserregern und Schädlingen haben hierbei einen wesentlichen Beitrag geleistet. Dieses im internationalen Vergleich sehr hohe Produktionsniveau hat Deutschland und die EU bereits um die Jahrtausendwende erreicht. Seither zeichnet sich die ackerbauliche Produktivität eher durch eine Seitwärtsbewegung aus. Gleiches gilt für den Pflanzenschutzmitteleinsatz.

Über alle Kulturen werden in der EU im Schnitt seit 1990 etwa 3 kg/ha Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Diese Intensität lag anfangs deutlich über dem weltweiten Mittelwert von 1,5 - 2,0 kg/ha. Durch eine Einsatzsteigerung in Nordamerika, Asien und insbesondere in Südamerika nähert sich der weltweite und europäische Pflanzenschutzmitteleinsatz inzwischen allerdings deutlich an (2017: EU 3,0 kg/ha, Welt 2,6 kg/ha). Im europäischen Vergleich liegt Deutschland auf einem mittleren Niveau. Länder, wie Italien und die Niederlande liegen erheblich darüber, während zum Beispiel Dänemark und Tschechien eine deutlich geringere Intensität im Pflanzenschutzmitteleinsatz aufweisen.

Der Innovationsgrad bei chemischen Pflanzenschutzmitteln ist in der EU deutlich rückläufig. Während in den 1980er Jahren noch ein Drittel der weltweit neu entwickelten Wirkstoffe auch in der EU in den Markt gelangten, liegt der Anteil neuer Wirkstoffe in der EU derzeit bei nur noch ca. 15 Prozent (Abbildung 1) der weltweiten Neuentwicklungen.

Ursache für diesen sehr geringen Innovationsgrad sind im Wesentlichen die zunehmend restriktiveren Zulassungskriterien. Diese führen dazu, dass neue Wirkstoffe in der EU nicht zulassungsfähig sind und bereits zugelassene Wirkstoffe bei einer Neubewertung die Zulassung verlieren. Über alle Wirkstoffgruppen ist damit zu rechnen, dass etwa 60 Prozent der Wirkstoffe langfristig nicht mehr verfügbar sein werden (Abbildung 2). Im internationalen Vergleich haben dafür die in der EU zugelassenen Pflanzenschutzmittel das Prädikat, ausgesprochen umweltverträglich und risikoarm zu sein.

Aus produktionstechnischer Sicht verschärft die geringere Verfügbarkeit an Pflanzenschutzmitteln und neuartigen Wirkstoffen die Möglichkeiten der Schaderregerkontrolle zusätzlich. Seit den1980er Jahren wird eine zunehmende Resistenzentwicklung bei allen Schaderregergruppen, egal ob Unkräuter, Krankheitserreger oder tierische Schädlinge, beobachtet. Die zunehmende Widerstandsfähigkeit von Schadorganismen gegenüber chemischen Pflanzenschutzmitteln ist im europäischen Vergleich weitgehend homogen (Beispiel: Unkrautresistenz Abbildung 3).

Die Häufigkeit von Resistenzen wird neben tatsächlichen regionalen Unterschieden dabei auch stark von der jeweiligen Untersuchungsintensität beeinflusst. Die tatsächliche produktionstechnische Problematik dürfte kritischer sein, als es die verfügbaren Statistiken darstellen.

Konsequenzen

Der stark formulierte politische Wille zur Einschränkung von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteleinsatz wird nicht nur durch Regulierungsmaßnahmen und Anwendungsverbote umgesetzt werden können. Vielfältigere Fruchtfolgen, mechanische Unkrautregulierung und der zusätzliche Verzicht auf den gezielten Pflanzenschutzmitteleinsatz wird das Ertragspotenzial verringern, den Arbeitsaufwand erhöhen und die Rentabilität begrenzen. Ein geringer Teil dieser Folgen wird durch Rationalisierungseffekte in größeren Betrieben aufgefangen werden. Die Wachstumsgrenze wird auf deutlich über 100 ha je Betrieb verschoben werden. Ein Ausgleich der höheren Produktionskosten und geringeren Produktivität über höhere Erzeugerpreise ist in der konventionellen Landwirtschaft unrealistisch. Es besteht dagegen das Risiko, dass auch die Erzeugerpreise im ökologischen Landbau unter Druck geraten, wenn die Umstellungsrate künstlich angeheizt wird und die Bioproduktion nicht proportional zur Marktnachfrage wächst. Ein Einkommenstransfer wird unverzichtbar, um die zunehmende Aufgabe kleinerer Betriebe zu vermeiden, sodass regional die landwirtschaftliche Flächenbewirtschaftung beibehalten wird. Hierzu muss eine extensivere und letztlich auch umweltschonendere Produktion entlohnt werden. Das erfordert einen Paradigmenwechsel von allen Beteiligten, von den Landwirten, der Politik und der Gesamtgesellschaft, um eine höhere Biodiversität und einen niedrigeren Pflanzenschutzmitteleinsatz mit einem gerechten und nachhaltigen Preis ausstatten zu können.

Fazit

Die Produktivität und Rentabilität im Ackerbau basieren in der konventionellen Landwirtschaft zu einem wesentlichen Anteil auf den gezielten Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln. Die Anwendungsmöglichkeiten werden in Zukunft aufgrund einer eingeschränkten Verfügbarkeit von Wirkstoffen und Präparaten begrenzt werden. Die weitere Entwicklung von Schaderreger-Resistenzen wird die Wirksamkeit von chemischen Pflanzenschutzmitteln zunehmend verringern. Um die Ertragsfähigkeit zu erhalten, werden ackerbauliche Maßnahmen und alternative Verfahren zur Regulierung von Schaderregern an Bedeutung gewinnen.

Die Herausforderung wird sein, hierbei die Ökonomik nicht übermäßig zu belasten und negative Nebenwirkungen von alternativen Verfahren (z. B. höherer CO2-Ausstoß und höheres Erosionsrisiko bei intensiverer Bodenbearbeitung) in Grenzen zu halten. Das derzeit boomende Feld von Biologicals, Pflanzenhilfsstoffen und Pflanzenstärkungsmitteln als Ersatz für chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel wird an Bedeutung gewinnen. Ab etwa 2050 wird damit gerechnet, dass derartige Präparate eine größere Bedeutung als konventionelle Pflanzenschutzmittel haben werden.

Eine gleichwertige oder sogar effizientere Schaderregerkontrolle kann damit allerdings nicht zwingend erwartet werden. Bisher handelt es sich im Vergleich um aufwändigere und weniger effiziente Regulierungskonzepte, die vorrangig unter kontrollierten Bedingungen, zum Beispiel in der Gewächshausproduktion, zum Einsatz kommen werden.

Autor:

Klaus Gehring
Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft,
Institut für Pflanzenschutz, Freising-Weihenstephan

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